„Nicht Vergessen“ -
über jüdisches Leben in Bedburg
Ein Dokumentarfilm von Matthias Sandmann
Zum Film
lm Jahr 1930 lebten etwa 100 Jüdinnen und Juden in Bedburg, im Dezember 1942 jedoch galt die Stadt als „judenfrei“. Die jüdischen Bedburgerinnen und Bedburger waren von den lokalen Nationalsozialisten ihres Besitzes beraubt, deportiert und in Vernichtungslagern ermordet oder zuvor vertrieben worden.
Der 40-minütige Dokumentarfilm „Nicht Vergessen“ des Bedburger Fotografen und Filmemachers Matthias Sandmann zeigt die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Bedburg zur Zeit des Nationalsozialismus. Er beleuchtet Schicksale jüdischer Familien, lässt Zeitzeugen, Nachfahren und Expertinnen und Experten wie auch Kinder und Jugendliche aus Bedburg zu Wort kommen.
Außerdem schlägt der Film immer wieder einen Bogen in die Gegenwart und erinnert somit daran, welche Institutionen und Gedenkstätten in Bedburg und Umgebung heute noch an diese Zeit erinnern.
Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv zum Film
01.05.1933: Unterstützung von NSDAP-Feiern durch Bürgermeister und Ämter
Der Landrat in Bergheim hatte die Bürgermeister des Kreises und ihre Ämter schon drei Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten angewiesen, an Feiern von NSDAP und NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, NS-Gegenmodell zu freien Gewerkschaften) zum 1. Mai teilzunehmen sowie diese bei der Durchführung der Feiern „tatkräftig“ zu unterstützen. Am Folgetag vermerkte die Gemeindeverwaltung Pütz: „Hier ist entsprechend gehandelt worden.“, versah die Aufträge mit Erledigt-Vermerken (erl., handschriftlich am Rand) und delegierte das Schreiben „zu den Akten“.
28.10.1938: Erste Massenausweisung von Jüdinnen und Juden – auch aus Bedburg
Jüdinnen und Juden waren 1938 bereits fünf Jahre lang einer Eskalationsspirale staatlich sanktionierter Hetze, Gewalt und Entrechtung ausgesetzt. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 befürchtete die autokratische polnische Regierung deshalb eine größere Einwanderung von in Deutschland lebenden polnischen Jüdinnen und Juden. Sie verabschiedete ein Gesetz, das diesen die polnische Staatsangehörigkeit zum 1. November 1938 aberkennen würde, sollte sie bis dahin nicht vor Ort in Polen erneuert worden sein. Das Gesetz wurde erst Ende Oktober öffentlich bekannt. In nur zwei Tagen organisierte das NS-Regime daraufhin die gewaltsame Ausweisung von rund 17.000 Jüdinnen und Juden, die zumeist seit vielen Jahren in Deutschland lebten oder hier geboren, aber nicht im Besitz der deutschen Staatangehörigkeit waren – die erste Massenausweisung von Jüdinnen und Juden und ein Vorspiel zu den späteren Deportationen.
Auch drei Bedburger*innen wurden ausgewiesen: Adolf Gartenberg lebte seit 1909 in Deutschland und seit 1922 in Bedburg. Nun mussten er, seine in Frimmersdorf geborene Ehefrau Erna und seine acht Jahre alte Tochter die Stadt verlassen. Die Transportkosten für den „Sammeltransport (Verwaltungssonderzug)“ ab der Kölner Messe in Höhe von 66,06 RM wurden später durch die Bedburger Verwaltung von Angehörigen der Familie Gartenberg „eingezogen“.
10./11.11.1938: Verhaftungen nach den Novemberpogromen in Bedburg
Das NS-Regime hatte die Gewaltmaßnahmen der Novemberpogrome vom 9. und 10. November 1938 gegenüber Jüdinnen und Juden organisiert und gelenkt – die Ermordung mehrerer hundert Juden, den Brand der Hälfte aller Synagogen in Deutschland und Österreich, die Verwüstung von 7.500 jüdischen Geschäften und unzähliger Wohnungen.
Auch in Bedburg wütete der aufgepeitschte Mob am Abend des 10. November. Bedburgs uniformierte Parteigänger wie zivil Gekleidete zerschlugen und plünderten das Eigentum ihrer jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn, nahmen ihnen die letzte Vorstellung eines sicheren Lebens in ihrer Heimat, schändeten die Synagoge im Hinterhof der Graf-Salm-Straße 10 und verbrannten ihre Heiligtümer unter Grölen auf dem Marktplatz. Gegen 21:40 Uhr erreichte die Gemeindeverwaltung Bedburg dann per telefonischer Durchsage des Landratsamts Bergheim ein SS-Erlass der Geheimen Staatspolizei Berlin („Geh. St. Pol.“): „Festzunehmen sind alle männlichen Juden, möglichst unter 40 Jahren, gesund, kräftig und wohlhabend.“
Ein Aktenvermerk vom Folgetag dokumentiert die umgehende Befolgung durch die örtlichen Behörden: 50 Minuten nach Eingang des Erlasses waren vier Bedburger Juden verhaftet worden. Am Morgen des 11.11. erfolgte die fünfte Verhaftung. Die so Festgenommenen wurden über das Durchgangslager Brauweiler ins Konzentrationslager Dachau deportiert und dort wochenlang unter Druck gesetzt, das Land zu verlassen und ihren Besitz zu überschreiben.
Juni/Juli 1942, Deportationen von 13 Jüdinnen und Juden aus Bedburg
01.12.1942, Gemeindeverwaltung Bedburg: „Juden sind hier nicht mehr wohnhaft.“
Das Landratsamt Bergheim fragte für seine „Judenstatistik“ regelmäßig die in den Gemeinden des Kreises lebende „Anzahl der Juden“ ab. Nach Flucht, gewaltsamer Vertreibung und Deportationen meldete die Gemeindeverwaltung Bedburg am 1. Dezember 1942 das erste Mal eine Fehlanzeige zurück: „Juden sind hier nicht mehr wohnhaft.“
Historische Hintergründe zum Film
Die Bedburger Familie Franken
Die Familie Franken lebte seit 1714 auf dem Gebiet der heutigen Stadt Bedburg, zuerst in Kaster, zwischenzeitlich in Frauweiler und seit 1880 in Bedburg. Bis zu ihrer gewaltsam herbeigeführten Flucht im Jahr 1939 war sie fester und angesehener Bestandteil der Bedburger Ortsgemeinschaft, stellte Gemeindevorsteher der Synagogengemeinde sowie Ratsmitglieder des Gemeinderats.
Um 1880 zogen Joseph und Juliane „Julie“ Franken von Frauweiler in das alte Patrizierhaus am Bedburger Marktplatz, Friedrich-Wilhelm-Straße 43 (s. u.), aus dem heraus die Familie bis 1938 einen Landhandel unter dem Namen „Firma Witwe Joseph Franken“ betrieb. Die drei Söhne stiegen in den elterlichen Handel ein, Hermann und seine Ehefrau Frederike „Frieda“ übernahmen auch das Wohnhaus am Marktplatz. Hermann Franken war nicht nur Gemeindevorsteher der Bedburger Synagogengemeinde, sondern auch langjähriges Ratsmitglied der Gemeinde Bedburg. Nach dessen Tod 1916 führten seine Witwe Frieda und sein Sohn Albert das Geschäft fort. Besuch bekamen die beiden regelmäßig von ihrer Enkelin bzw. Nichte aus Düsseldorf, Hannah Monin, der Tochter Joseph Frankens.
Albert Franken, in den Fußstapfen seines Vaters einer der Vorsteher der Kreissynagogengemeinde Bergheim, war 1938 gezwungen, die Synagogengemeinden des Kreises mit aufzulösen. Im selben Jahr wurden ihm seine Lebensgrundlagen entzogen. Er wurde gezwungen den Familienbetrieb am 13. Juli 1938 aus dem Handelsregister zu löschen. Das Wohnhaus am Marktplatz samt Inventar wurde unter „Denkmalschutz“ gestellt, sodass ein privater Verkauf unmöglich wurde. In den Novemberpogromen 1938, die in Bedburg am 10. November 1938 stattfanden, wurde das Haus von einem wütenden Mob aus SA- und anderen Parteigängern sowie Zivilisten gestürmt, Wertgegenstände zerstört und Fenster eingeworfen. In der Nacht des 10. November wurde er mit anderen Bedburger Juden verhaftet und ins KZ Dachau deportiert. Dieses konnte er erst wieder verlassen, als er seine sofortige Ausreise und die Abtretung des Wohnhauses an die Gemeinde zugesichert hatte. Den Vertrag mit der Gemeinde Bedburg unterschrieb Albert Franken am 24.12.1938 im Namen seiner krebskranken Mutter (s. u.). Wenige Tage später floh die Familie aus Deutschland, „mit 10 Mark in der Tasche“.
Gegenwärtige Hintergründe zum Film
Besuche der Franken-Nachfahren in den Jahren 2019 und 2022
Besuch 2019: Reise zu den Wurzeln
Auf einer Reise zu seinen Wurzeln besuchte der Franken-Urenkel Yossi Meiri gemeinsam mit seiner Frau Efrat, Tochter Noam und den Söhnen Lior und Omer im Frühjahr 2019 Bedburg. Vertreter*innen der Stadtverwaltung und des Bedburger Geschichtsvereins führten die Gäste u. a. durch das alte Bedburger Rathaus in der Friedrich-Wilhelm-Straße 43. Hier lebten einst Meiris Urgroßeltern Hermann und Frieda Franken, die dort einen Landhandel betrieben. Seine Großmutter Bertha Franken hatte hier ihre Kindheit verbracht. Im Januar 1939 floh die Familie nach Israel, nachdem die örtlichen Nationalsozialisten das Haus in den Novemberpogromen 1938 verwüstet und anschließend in ihren Besitz gebracht hatten (s. o.).
Aus dem Besuch der Familie Meiri entstand der beiderseitige Wunsch, die Beziehungen miteinander zu vertiefen. Yossi Meiri, der selbst aus Pardes Hanna-Karkur kommt, traf sich kurzerhand mit Vertreter*innen des dortigen Stadtrates und Bürgermeisterin Hagar Perry Yagur, die von der Idee begeistert waren – die ersten Schritte in Richtung Städtepartnerschaft waren gemacht.
Im Juli 2022 waren direkte Nachfahren der Familie Franken wieder zu Gast in Bedburg. Besonders bemerkenswert war dabei der Besuch der fast 95-Jährigen Hannah Monin. Als Kind besuchte sie regelmäßig an den Wochenenden und zu Feierlichkeiten ihre Großmutter Frieda Franken und ihren Onkel Albert Franken in deren Wohnhaus am Bedburger Marktplatz, dem ehemaligen Rathaus Bedburgs. Begleitet wurde sie von ihrer Tochter Daphna Arditi und ihrem Großneffen Yossi Meiri, der selbst in Pardes Hanna-Karkur lebt und an der Gründung der Städtepartnerschaft mit der Stadt Bedburg im Dezember 2020 maßgeblich beteiligt war (s. o.) sowie Yoni Hakimi, einen Vertreter aus dem Stadtrat Pardes Hannah-Karkur.
Bei einer Zeremonie auf dem jüdischen Friedhof in Bedburg wurde es das erste Mal auf diesem Besuch emotional. Denn am Grab von Hermann Franken fehlte über Jahrzehnte eine Bronzetafel im Kronstein. Das bereits als verschollen geglaubte Fundstück konnte zur Freude seiner Nachfahren wieder am Grab von Hermann Franken angebracht werden. Hannah Monin erklärte den Jugendlichen der mitgereisten Tanzgruppe Hora Aviv Pardes Hanna-Karkur eindrucksvoll, welche Bedeutung ihr Besuch in Bedburg vor allem in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus habe: „Hitler hat versucht uns zu vernichten und hat es nicht geschafft. Wir haben vor Hitler gelebt und leben jetzt immer noch. Und weil er jetzt nicht mehr da ist, ist es umso wichtiger, dass wir zeigen, wir sind da. Auch für die Juden, die die NS-Zeit damals leider nicht überlebt haben.“
Beim Festakt zur Städtepartnerschaft mit Pardes Hanna-Karkur im Bedburger Schloss teilte Hannah Monin dann die Erinnerungen an ihre Kindheit mit den anwesenden Gästen: „Meine Freundinnen wollten plötzlich nichts mehr mit mir zu tun haben. Die Eltern hatten vermutlich Angst davor, wenn rausgekommen wäre, dass ihre Kinder Kontakt zu Juden hatten. Doch als Kind habe ich das nicht verstanden“, sagte die fast 95-Jährige, die bis zu ihrem elften Lebensjahr in Deutschland lebte. „Wir waren doch alle normale Menschen.“ Anschließend gab die Familie Gummersbach einen Gebetsteppich aus der Bedburger Synagoge, den sie nach einem heimlichen Anvertrauen durch die Frankens über 80 Jahre verwahrt hatte, an die sichtlich bewegten Nachfahren der Familie Franken zurück. „Wir alle sollten immer den Menschen helfen, die vernichtet werden sollen, ohne dass sie jemandem etwas getan haben“, sagte eine zuvor sprachlos wirkende Hannah Monin. Bürgermeister Sascha Solbach fügte nach der Übergabe hinzu: „Nun kommt zusammen, was zusammen gehört“.
Am darauffolgenden Tag besuchte Hannah Monin gemeinsam mit ihrer Tochter Daphna und ihrem Großneffen Yossi das ehemalige Wohnhaus ihrer Vorfahren am Bedburger Marktplatz. Anschließend gab es eine weitere Gelegenheit zum Zuhören: Hannah Monin berichtete über ihre Kindheit in Düsseldorf, ihre Besuche in Bedburg, die zunehmende Diskriminierung bis hin zur Flucht ihrer Familie aus Deutschland. Sequenzen dieses Gesprächs sind Ursprung und Grundlage des Films „Nicht Vergessen“.
Die Städtepartnerschaft zu Pardes Hanna-Karkur (Israel)
Die Stadt Pardes Hanna-Karkur mit 43.000 Einwohnern im israelischen Bezirk Haifa wurde nicht zuletzt wegen einiger langjähriger persönlicher Beziehungen als erste internationale Partnerstadt der Stadt Bedburg ausgewählt.
Historisch bedingt bestehen erste persönliche Kontakte zwischen den beiden Städten aufgrund der Vertreibung der Familie Franken im Jahr 1939 (s. o.). Vor einiger Zeit suchten die Nachfahren der Familie Franken Kontakt zur Stadtverwaltung. Ein Treffen fand im Frühjahr 2019 statt. Sowohl die politischen Vertreter*innen in Pardes Hanna-Karkur als auch die Nachkommen der Familie Franken wünschten sich eine Partnerschaft mit der Stadt Bedburg. Somit ist das historische und bedrückende Ereignis der Naziherrschaft in Bedburg zugleich Ursprung einer wachsenden Freundschaft und Städtepartnerschaft.
Der Abschluss der Städtepartnerschaft ermöglicht Austausche im Schulbereich, auf Vereinsbasis und in den Fachdiensten der Stadtverwaltung. Die Beteiligung weiterer Bereiche wie der lokalen Wirtschaft ist ausdrücklich erwünscht. Die Partnerschaft ermöglicht den Bürger*innen, den internationalen Austausch auf einer lokalen Ebene zu erleben, um so Gemeinsamkeiten zu finden, die die Solidarität zwischen den Menschen und das Verständnis für das Fremde stärken. Von diesem interkulturellen Dialog profitieren alle Bedburger*innen und darüber hinaus rundet die Städtepartnerschaft das Bild Bedburgs als moderne Stadt mitten in Europa ab.
Ein weiterer Grund für eine Partnerschaft mit einer israelischen Stadt ist die Tatsache, dass das Land Nordrhein-Westfalen ein besonderes Verhältnis zu Israel pflegt. Anfang des Jahres 2020 öffnete das Büro des Landes Nordrhein-Westfalen für Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Jugend und Kultur in Israel seine Türen. Es hat die Aufgabe, die zahlreichen Aktivitäten Nordrhein-Westfalens in Israel zu bündeln, das Land vor Ort präsenter zu machen und neue Ideen für die Zusammenarbeit zu entwickeln.
Mehr Informationen zu den Städtepartnerschaften der Stadt Bedburg finden Sie hier!
Bedburg lebt Demokratie!
Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ hält verschiedene Bausteine für unterschiedliche Handlungsebenen bereit. Auf kommunaler Ebene werden die „Partnerschaften für Demokratie“ realisiert, die für die jeweiligen Städte oder Kreise individuell angepasste Vorhaben zur Demokratieförderung umsetzen.
Die Stadt Bedburg beteiligt sich an den Partnerschaften für Demokratie und kann somit ein auf Bedburg angepasstes Konzept entwickeln und eigene Projekte vor Ort fördern und umsetzen. Deutschlandweit arbeiten aktuell über 280 Partnerschaften für Demokratie daran, Extremismus vorzubeugen, Teilhabe und Partizipation zu fördern und die Demokratie damit voranzutreiben