Ein Jahr Städtepartnerschaft: Bürgermeister Oleksandr Sjenkewytsch im Interview
Eine Freundschaft unter erschwerten Bedingungen: So könnte man die Städtepartnerschaft zwischen der ukrainischen Stadt Mykolajiw und der Stadt Bedburg zusammenfassen. Denn Mykolajiw ist weiterhin eine der am stärksten betroffenen Städte durch den russischen Angriffskrieg. Die Menschen vor Ort leben unter widrigsten Bedingungen, andere sind geflohen. Rund 300 Ukrainerinnen und Ukrainer leben heute noch in Bedburg, die meisten von ihnen stammen aus Mykolajiw.
Am 2. November feierten Mykolajiw und Bedburg nun ein Jahr Solidaritätspartnerschaft. Für diesen besonderen Anlass hat die Stabsstelle Soziale Stadt ein Interview mit Oleksandr Sjenkewytsch, Bürgermeister von Mykolajiw, geführt. Er berichtet über das vergangene Jahr und die Lage vor Ort.
Stadt Bedburg (SB): Sehr geehrter Herr Bürgermeister Oleksandr Sjenkewytsch, Mykolajiw und Bedburg sind seit einem Jahr durch eine solidarische Partnerschaft verbunden. Was verbinden Sie mit unserer Freundschaft?
Oleksandr Sjenkewytsch (OS): Die Freundschaft zwischen unseren Städten ist eine besondere Verbindung. Mykolajiw ist mit einem zuverlässigen Partner verbunden, der immer bereit ist, in Zeiten der Not eine starke Schulter zu zeigen, mit Solidarität und unschätzbarer Unterstützung und Hilfe. Trotz der Entfernung, der unterschiedlichen Sprachen und Kulturen sind wir durch gemeinsame europäische Werte verbunden: den Wert des Lebens und der Demokratie. Das ist es, was uns inspiriert und uns den Anstoß für eine weitere Entwicklung sowie die Kraft zum Kämpfen und Verteidigen gibt.
SB: Welche Projekte oder Initiativen wurden im Rahmen dieser Partnerschaft bereits umgesetzt?
OS: Im Rahmen dieser Partnerschaft hat die Stadt Bedburg uns nicht nur solidarisch zur Seite gestanden, sondern auch materielle Hilfe geleistet. Wir haben mehrere Wasseraufbereitungsanlagen und drei Transportfahrzeuge aus Bedburg bekommen, dafür sind wir sehr dankbar.
Neben der materiellen Hilfe ist die Stadt Bedburg aber auch zu einem sicheren Hafen für Hunderte von Einwohnern aus Mykolajiw geworden. Für sie gab es in Bedburg zahlreiche kulturelle Veranstaltungen, an denen sie teilnehmen konnten. Darunter das Fest der Kulturen, den Karnevalszug, der Ricarda-Markt oder die Ausstellung „Gesichter der Flucht“ – um nur ein paar zu nennen. Ich bin froh, dass Bedburg sich so für unsere Leute engagiert.
SB: Mykolajiw ist eine Stadt, die vom russischen Angriffskrieg stark betroffen ist. Könnten Sie uns einige Einblicke in die aktuelle Situation in Mykolajiw geben?
OS: Nach der Befreiung von Cherson hat sich die Lage in Mykolajiw etwas stabilisiert. Heute wird die Stadt nicht mehr täglich beschossen, aber die russischen Truppen bombardieren weiterhin die Infrastruktur und Wohngebäude in Mykolajiw. So beschossen russische Truppen Mitte Oktober ein Industrieunternehmen, das seit Beginn der Invasion nicht mehr in Betrieb ist. Die Druckwelle beschädigte acht mehrstöckige Gebäude in dem Gebiet. Insgesamt wurden seit Kriegsbeginn in Mykolajw mehr als zweitausend private und mehrstöckige Gebäude, mehr als 80 Bildungseinrichtungen, 24 kulturelle Einrichtungen, 15 Sporteinrichtungen und 17 medizinische Einrichtungen beschädigt.
159 Einwohner wurden getötet, darunter zwei Kinder. Weitere 752 Einwohner Menschen unserer Stadt, darunter 17 Kinder, wurden schwer verletzt.
SB: Vor welchen Herausforderungen steht Mykolajiw in diesen schwierigen Zeiten?
OS: Eines der größten Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, ist die fehlende Trinkwasserversorgung. Die Einwohner der Stadt verwenden Brauchwasser für den Haushalt, welches wir über das zentrale Wasserversorgungssystem bereitstellen. Zudem müssen sich die Menschen das Trinkwasser an speziell eingerichteten Stellen in der Stadt holen. Denn wir können die Qualität der Wasserversorgung nicht wiederherstellen, da die russischen Truppen unsere Wasseranlagen ständig beschießen.
SB: Viele Menschen aus Mykolajiw haben in Bedburg eine zweite Heimat gefunden, um dem Krieg zu entkommen. Würden Sie gerne etwas an Ihre Freunde aus Mykolajiw richten?
OS: Ja, gerne: Liebe Einwohner von Mykolajiw, die heute in Bedburg Zuflucht gefunden haben! Herzliche Grüße aus unserem sonnigen und warmen Mykolajiw. Aus der Stadt der Helden. Ich bin sicher, dass Sie alle Ereignisse in Ihrer Heimatstadt und in der Ukraine im Allgemeinen verfolgen. Sie sind stolz auf jede Geschichte über das Heldentum unserer Soldaten, Sie trauern um jeden Verlust. Aber ich hoffe wirklich, dass Sie den Glauben an unsere Soldaten, an unser Land und unseren Sieg nicht verlieren werden! Wir warten auf jede und jeden von Ihnen in Mykolajiw! Und wir werden uns bestimmt wiedersehen!
SB: Sehr geehrter Herr Syenkewytsch, wir danken Ihnen sehr für die Beantwortung unserer Fragen. Unser größter Respekt gilt Ihnen und dem Volk von Mykolajiw, das das ukrainische Land und die Freiheit verteidigt. Wir werden weiterhin unnachgiebig an Ihrer Seite stehen. Slawa Ukraini.
Gibt es eine Botschaft oder einen Wunsch, den Sie an die Menschen in Bedburg richten möchten?
OS: Ich bin der Stadt Bedburg aufrichtig dankbar für die enorme Unterstützung und Hilfe, die sie unserer Stadt zukommen lassen! Ich danke allen Bedburgern, dass sie den Einwohnern von Mykolajiw und den Menschen aus verschiedenen Teilen der Ukraine Schutz gewähren und ihnen in diesen schwierigen Zeiten helfen. Wir spüren ihre Unterstützung und wir werden Ihnen immer dankbar dafür sein! Und natürlich laden wir die Einwohner von Bedburg nach dem Sieg ein, Mykolajiw zu besuchen und unsere Gastfreundschaft zu erleben.
Viele Menschen in Bedburg engagieren sich gemeinsam mit der Stadtverwaltung für die Freundschaft zwischen Mykolajiw und Bedburg. Wenn auch Sie im Bereich der Städtepartnerschaften mitwirken wollen, wenden Sie sich gerne an die Stabsstelle Soziale Stadt (sozialestadt@bedburg.de). In Zusammenarbeit mit dem Städtepartnerschaftsverein und der Mykolajiw-Hilfe Bedburg versucht die Stadtverwaltung, die Menschen in Mykolajiw bestmöglich zu unterstützen.